Ein Kreischen erfüllt den Hausflur. Widerliches, lautes Gebrüll dringt aus den vielen Mündern, die alle vom Tod und von Verachtung erzählen, ohne es zu wissen. Völlig zugedröhnt stehe ich mittendrin. Bilder, zu schnell um sie zu verstehen, zu schnell um sie zu fühlen. Gesichter, brüchig und unstet, sehen mich an. Hemmungslos reiben sich Körper aneinander, an mir. Kalte Finger wandern über kalte, ausgetrocknete Haut auf der Suche nach ein bisschen Wärme. Dann Stille. Ich gehe weiter. In die Küche.
Überall stehen leere Flaschen, Plastikbecher liegen am Boden, es stinkt nach langer Nacht und lauter Musik. Eine flüchtige Unterhaltung, plötzlich ein Gefühl der Übelkeit. Folge: Über dem Waschbecken hängen, kotzen; danach weiter unterhalten, ist ja nichts passiert; schließlich süffisant grinsen, mit halbverdauten Essensresten zwischen den Zähnen. Weitergehen.
Das Wohnzimmer ist überfüllt mit tanzenden Körpern. Ich werde angesprochen, verstehe aber kein Wort, lächle, nicke den Kopf. Smalltalk funktioniert nicht, nicht wenn man im Rausch von seinen Schuhen erzählen möchte, oder von den Löchern in der Hose, die da eigentlich nicht sein sollten, weil man doch vernünftig ist, aber leider nie gelernt hat, zu nähen. Wie schade.
Viel zu viele Menschen. Platzangst. Ich setze mich in den Hausflur und höre zu, wie sie vom Leben singen und jaulen, wie sie fluchen und stöhnen vor Geilheit, wie sie auf und ab gehen und versuchen, ihre langweiligen Kleider möglichst aufregend zu tragen. Ich unterhalte mich nur mit mir, endlich mal wieder. Ich habe so viel zu sagen, grunze aber nur, reibe mich am Treppenhausgeländer, bin einsam und damit das Edelste, das ich mir vorstellen kann, inmitten dieser blutigen Meute, deren Schreie durchs Haus wogen. Nicht zu fassen ist im selben Augenblick die Sehnsucht nach einem Ausgang, nach Sonne und Strand, Klarheit oder einer warmen Hand, die einen hier raus führt. Wo bist du?
Ich trinke jetzt wieder, heftiger als zuvor, fühle kurzzeitig Wärme, synthetisch. Die Frauen! Auf einmal sind sie da, sehen bezaubernd aus, duften, reiben sich aneinander. Ich unterhalte mich und rieche sie, unsere Köpfe sind ganz nah beieinander, fasst ein Kuss, besser als jeder Orgasmus – fast. Dann trennen wir uns, sind schon ausgebrannt, ein Strohfeuer, ein Kaffee zum mitnehmen, ohne Zucker. Ich stolpere weiter, durch die Wohnung, durch mein Leben, stoße mich an Ecktischen und Unveränderlichkeiten, an anderen, an mir selbst. Aber mein Selbstmitleid hält sich erstaunlich in Grenzen, da bin ich mir sicher.
Dann eine Prügelei. Gegenstände fliegen durchs Wohnzimmer. Irgendjemand schlägt irgendjemand anderen mit einer Luftpumpe. Ich sehe zu. Gut choreographiert, denke ich mir und wie die auf die Idee mit der Luftpumpe gekommen sind – großartig! Fehlt nur noch, dass ein Hollywood-Chinese in einem Einkaufswagen ins Zimmer fährt und die beiden mit einer Handkantenbewegung kastriert. Ein Blockbuster! Abgesehen davon denke ich an Leid, ans Glücklichsein und daran, wie irgendwann alles von Zauberhand besser werden wird, einfach so.
Ich schließe mich einer Gruppe an, wir gehen hinaus in die Nacht, unterhalten uns, wohin nun? Mein Körper fühlt sich verbraucht an, jeder Schritt, jeder Gedanke schmerzt, doch diese werden sowieso kollektiv, wir denken jetzt gemeinsam – hauptsächlich Unsinn, ganz dämliche Scheiße. Aber langsam wird man sich bewusst, dass man sich mal wieder erfolgreich gedrückt hat. Stattdessen ließ man sich treiben von dieser unsäglichen Energie, dieser Sehnsucht nach einer besseren Empfindung, nach mehr Tiefe, einer ganz neuen Tiefe für diese Pfützen, die wir ins uns tragen - wir sind die Lache der Belanglosigkeit, allesamt und halten uns für so besonders. Und dann denkt jemand plötzlich Ideale in die Runde, fühlt Reue umher und weint aus unseren Augen – Drecksack! Wer damit anfängt, hat schon verloren. Ein Großteil der Menschheit – ach, lass uns alle sagen - ist für Ideale nicht geschaffen. Schwänze und Mösen sind immer stärker als Ideen, am Ende gewinnt die Kopulation. Als obs nicht schon genug von uns gäbe. Die entscheidende Aufgabe des 21. Jahrhunderts wird es sein, den Geschlechtstrieb genetisch auszuschalten. Dann ist endlich genug Platz für Leute da, die es sich verdient oder geleistet haben. Ich freue mich auf meinen Tod und die ewige Ruhe des Nichts – die ich mir in keinster Wiese vorstellen kann. Kurzum: Scheitern ist die letzte Konsequenz des Idealismus. Am Ende scheitern wir alle.
Wir laufen los, ziehen heulend durch die Nacht und manche denken tatsächlich, dass es noch etwas zu holen gäbe, wollen noch einmal eintauchen in den Exzess und auf dieser gewaltigen Welle reiten, bis sie am nächsten Bürgersteig zerschellt. Doch es ist zu spät. Die letzten Schritte schmerzen noch einmal, der Walk of Shame - die spitzen Selbstvorwürfe unter den Füßen - ist heute schwerer denn je. Ich überlege, noch einmal nach Gott zu rufen, dieser netten Idee, die mein Schwanz schon längst besiegt hat. Wie gerne würd ich ihn fragen, was ich jetzt am besten tun sollte, was denn überhaupt noch übrig bleibt und was es eigentlich mit diesen drei Muscheln auf sich hat. Aber ich tue es nicht. Ich brauche keine Antworten. Bleibe still. Und bereue nichts. Gott hasst uns alle.
(Anschein Punkt)
2 Kommentare:
Ich kann mich noch gut an den Abend erinnern!
CK
Und ich mich an all die anderen Abende.
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