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Dieser Blog ist ein Sammelsurium von Gedichten.

Dienstag, 8. November 2011

Wenn wir nicht sterben - des Gehängten Memoiren

Es scheint verwunderlich, dass ich so wenig vorbereitet war. Es kann wirklich viel Zeit verstreichen zwischen Schuld und Sühne. Das Knarzen der Klappe unter mir trifft mich wie ein Schlag, obwohl ich mir diesen Moment in allen Details ausgemalt hatte. Der Geist hat Grenzen. Solche, sich anderen völlig zu offenbaren und eben solche, sich eine Welt vorzustellen, die man noch nie betreten hat. Eine mit einem Strick um den Hals, eine in der Sekunden zu Stunden werden, eine kurz vor dem Ende.
Die Fantasie nach letzter Rettung (einer vermummten Gestalt, die einen Dolch durch den Strick schwingt oder ein zu Sinnen gekommener Staatsanwalt, der in letzter Sekunde ein verstaubtes Gesetz haltend, verschwitzt den Ort meiner Hinrichtung betritt) ist alles was ich habe um mir in diesen 4 Quadratmetern mintgrün noch so etwas wie eine Zukunft auszumalen.
Alle was bleibt ist der verzweifelte Versuch aus meinen Handfesseln zu schlüpfen, um mir ein letztes Mal vergebens an den Hals zu fassen. Leider hatte der Schafrichter die Fallhöhe zu niedrig berechnet und so brach mein Genick nicht, ich musste langsam ersticken. Vielleicht war es auch Absicht, wer einen solchen Beruf wählt, hat nicht viel für Menschen übrig. Unter der Maske stelle ich mir einen Mann, der in seiner Kindheit kleine Tiere gequält hat und wäre er einmal anders abgebogen, wäre er sicher selbst zum Mörder geworden, nicht zum Richter. Die letzten Sekunden, bevor das Licht erlischt frage ich mich nach dem Unterschied.
Über meinem blauen Kopf geht rot der Mond auf und bescheint diesen nassen Sack. Alle Muskeln sind entkrampft und geben den Säften freien Lauf. Kot und Urin rinnt mir aus jeder Pore, sammelt sich im Holztrog unter mir, der bald vom Bauer als Dung geholt wird. Ihr werdet tatsächlich meine Scheiße fressen.
Am nächsten Tag wundere ich mich über die Abweichung vom Protokoll. Sie schneiden mich nicht runter. Sie wollen mich hängen sehen.
Die Sonne weckt mich, denn man hat mich mit dem Blick nach Osten aufgehängt. So ist das üblich mit Mördern, so werden sie mich auch begraben, denn im Westen liegt das Ende, der Abschluss, die Erlösung - für die guten Toten - ich jedoch werde meine Körper nicht mehr verlassen. Warum ich das weiß? Weil nicht zugelassen wird, dass ich es je vergesse. Diese Stimme ist nach meiner gekommen, kurz nach meinem letzten Würgen war sie da. Gleichförmig spricht sie Mantras in mein Ohr, davon, wie es für mich weiter geht. Ich bin nur noch ein Gedanke in einem Ding auf dem die Fliegen spielen - die Hölle, von der keiner weiß.

Nach Tagen will einfach nur noch in die Kiste alleine anständig verfaulen. Die Stimmen sind täglich mehr geworden und jede versucht die andere zu überschreien. Unter mir flanieren Mütter mit ihren Bälgern und zeigen auf mich. Steine, Spucke, Stockschläge - ich fühle nichts, ich sehe nur.

Es wird Herbst. Noch erstaunlich viel ist von mir übrig, genug, um zu erkennen, dass hier ein Mensch hing. Ich wünsche nicht mehr oft, dass es vorbei geht. Vielmehr bin ich seit einiger Zeit gespannt, was wohl als nächstes kommt. Ob ich unter der Erde etwas wahrnehme, ob sie mich überhaupt begraben oder mich einfach in den nächsten Abort werfen.

Fortsetzung folgt.

(müsste K.)