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Dieser Blog ist ein Sammelsurium von Gedichten.

Montag, 17. Oktober 2011

Maschen und Muster

Mein Denken, meine Vorstellung, von dem, wie alles ist, besteht in Bildern. Das ist praktisch, denn wie in einer Diashow, vom letzten Urlaub meiner Tante, kann ich mich aus einer unangenehmen Situation, etwa Tante Rita am Ende der Wasserrutsche, wenn ihr das Top ihres Bikinis nur noch die Nase verdeckt, in eine schönere retten, das nächste Dia, im besten Fall.
Sitze ich also an einem Tisch, das Gespräch ignorierend, bin ich im Kopf, in meiner eigenen Geisterbahn und zeichne mir selbst eine Ablenkung.
Gestern kam mir das Bild einer Halle in den Kopf, darüber, daneben und darunter waren weitere dieser Hallen. Warum es nicht nur eine riesige war, lag wohl an der Statik. Alle diese Hallen waren voller Menschen, jeder Generation und Art. Säuglinge, Draufgänger, graue Mäuschen, Gabelstaplerfahrer, Anwälte und Mörder.
Vor ihnen allen stand ein Webstuhl. Sie woben ihr Leben mit unterschiedlichem Geschick und Eifer. Der Raum, so wie wohl auch die anderen war erfüllt von Geräuschen menschlicher Emotion. Ich ging durch die Halle und hielt immer bei jenen, die ich gerade eben oder kurz zuvor gehört hatte. An denen, die stoisch auf ihrem Hocker saßen, die Nadel im Arm, oder die Krawatte zu eng, ging ich nur kurz schauend vorbei, denn ihr Gewebe glich sich zu stark.
Ich erkannte, dass alle das gleiche Garn zu nutzen im Stande waren. Jede Farbe, Dicke und Qualität bedeuteten etwas anderes. Ich will nicht sagen, ob jeder die gleiche Menge davon hatte, denn das würde die Vorstellung der Beeinflussbarkeit von Tod und somit die Existenz von Kismet in starke Konkurrenz treten lassen.
Obwohl ich nicht alles durchschauen konnte, war mir doch aufgefallen, wie dünn im Faden die außerhalb dieses Bildes anerkannten Werte, hier vertreten waren und wie wenig unterteilt. So gab es zum Beispiel nur einen Faden für Freundschaft und Liebe. Hass, Rache, eben alle niederträchtigen Gefühle, die Handlungen nach sich ziehen konnten, waren giftige Grüntöne.
Um Personen und Handlungen zu verbinden, musste nur der Faden der Person mit dem des Gefühls verwoben werden. Simpel.
An solchen Webstühlen, an denen Menschen weinten oder jubelten, fiel mir auf, dass es davon zwei Arten gab: die, die vor ungeplanten Maschen saßen und mit der Schere versuchten, noch das letzte zu retten und die, vor den sich von oben nach unten, bis vor ihren Bauch ein umgekehrtes Geäst ausbreitete, bei dem alle Verzweigungen logisch - wenn auch so kompliziert, wie der Ausweg aus einem großen Irrgarten - unweigerlich auf den Weber zuliefen und eben Trauer oder Freude bedeuteten. Hier unterschied sich der plötzliche Unfalltod des Gatten oder die Lottomillion von der gut durchdachten Sterbehilfe des Onkels oder der lange geplanten Beförderung. Ich verbrachte zwar nur einige Stunden hier, doch mir war plötzlich sehr bewusst, dass wohl jeder dieser Weber schon auf beiden Seiten stand oder stehen würde. Denn eines schien sicher: das Garn war tückisch.
Ob sie nun aber zum zusammengekauert, an Fingernägeln kauernd auf ihren ungemütlichen Holzhockern saßen und nichts taten oder entspannt und beharrlich Faden für Faden zusammenfügten, war ihnen doch eines gleich: die vergangenen Stunden und Tage waren über dem Webstuhl aufgerollt, verschieden stark, verschieden bunt.
Genau wie der Anfang, war das Ende eines jeden Webstücks ungesäumt, einige Fäden, Möglichkeiten, die sich im Sande verliefen, hingen rechts und links am Webstück hinunter. Angefangen mit einem einzelnen Faden, hing dieser am Ende vom Windhauch bewegt an der Rolle hinunter, während diese in der Decke verschwand und mit einem Plopps das nächste, kleine und noch von Blut verschmierte Wesen auf dem Hocker Platz fand, dem Ort an dem es seine ungezählte Zeit fristen würde, die Ärmchen noch nicht lang genug, alle Funktionen steuern zu können, zunächst würde es passiv bleiben müssen, frei Plätze schien es nicht zu geben. In dieser Fabrik, war erst Feierabend, wenn die Arbeit getan war.

Ich wurde abgelenkt und musste plötzlich an Selbsthilfebücher denken, in denen geraten wurde, sich eine Auszeit vom Leben zu nehmen und dadurch, dieses wirklich zu nutzen. Spontan zu sein und auch mal nicht an Morgen zu denken. Als ob!

Es erinnert sich vielleicht noch einer an die Opel-Werbung, auf der das Auto auf Schienen fuhr. Fortwährende Bewegung auf einer Spur bringt so viel Sicherheit. Wie Hunde in der Rennbahn, die dem falschen Hasen folgen. Im Blutrausch gefangen, zum Scheitern verurteilt. Wer einmal den Hasen fängt, rennt nicht mehr. Erfolg ist das Ende von Sehnen und der Anfang von neuen Zielen, nur weil man sich etwas erfüllt, muss das nicht das Ende der Welt sein, aber das muss man wissen.

(müsste K.)

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